von upsidedown » 17.03.2014 18:35
Lidocain ist nach dem Arzneimittelgesetz apothekenpflichtig. Die Verabreichung ist ausschliesslich medizinisch ausgebildetem, die Abgabe ausschliesslich pharmazeutisch ausgebildetem Personal erlaubt. Nimmt man es ganz genau, darf dieser und jeder andere apothekenpflichtige Wirkstoff nicht nur nicht durch den Tätowierer aufgetragen werden. Er darf es auch nicht an den Kunden abgeben, damit dieser es selber aufträgt. Wer das trotzdem macht, riskiert sowohl für sich als auch für seinen Kunden die Haftung aus seiner Berufshaftpflicht zu verlieren. Denn eine solche Handlung ist nicht nur grob fahrlässig sondern vorsätzlich. Der Tätowierer der apothekenpflichtige Arzneimittel abgibt, handelt im strengen Sinne berufs- bzw. gewerbsmäßig und macht sich uU nach §§ 95 Abs. Abs. 1 Nr. 4, 43 Abs. 3 Satz 1 AMG strafbar. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Feststellung. Den Rest müssen Kunde und Tätowierer mit sich ausmachen.
Zur Wirkung von EMLA möge man bitte auch realistisch auf den gedachten Verwendungszweck schauen. Es geht um kleine, im Regelfall kurz andauernde Eingriffe in begrenzten Arealen. Der Beipackzettel ist ja vielfach im Netz - es kann sich jeder selber ein Bild machen. Die Wirkungsdauer beträgt laut Beipackzettel "mindestens eine Stunde" - unter den gegebenen Anwendungszwecken. Dazu zählt eher nicht, dass man mehrere Stunden lang flächig durch die Haut pflügt.
Das war unter anderem auch der Grund warum vor einigen Jahren ein damals nicht ganz unbekanntes Tattoostudio in Zusammenarbeit mit einer Apotheke eine Tattoosalbe anmischen hat lassen, die nicht nur die üblichen 2.5% Licocain, sondern 25% Lidocain enthalten sollte. Die nicht ganz branchenübliche Verarbeitung einer solchen Konzentration führte zum Abbruch des Projektes (eine Konzentration von mehr als 5% ist medizinisch nicht vertretbar - ebensowenig wie die nahtlose Mehrfachanwendung zur Erhaltung des Effektes).
Meine ganz persönliche Erfahrung. Bei mir kannste Emla auch ebensogut weglassen. Es ist weder eine vollständige, noch eine annähernde Schmerzabschaltung drin. Wer den Beipackzettel von Emla aufmerksam liest, oder sich mit Lidocain beschäftigt wird schnell gewahr, dass mehr nicht lange mehr bringt. Ab einer nicht ausreichend beschriebenen Einwirkzeit, nimmt die betäubende Wirkung auf der gesättigten Haut ab. Auch mechanische Einwirkung auf lokal anästhesierten Hautpartien führt zu einer geringeren Wirkdauer, die eben nicht durch Neudraufplempern verlängert werden kann. Nur weil der Kunde (kurzfristig) etwas weniger spürt, heisst das nicht, dass der Körper nicht reagiert. Je mehr, härter und länger die mechan. Einwirkung auf den Körper ist, desto schneller verliert das Lidocain und gewinnt zB das Prostaglandin.
Ich halte die gemachten Erfahrungen für eine Mischung aus positiv aufgefasster Tagesform und Placeboeffekt. Noch dazu gibt es für die Aufnahme über die Haut Studien die ganz deutlich sagen, dass Lidocain in einem nahezu über das gesamte Testfeld gleichmässig hälftig verteilten Aufkommen nicht wirklich wesentlich bei den Patienten wirkt. Und man weiss nicht mal warum. Was zum Nachdenken anregen sollte, die Hersteller der Lidocainpflaster - die im Übrigen auch nicht die magische Grenze der 5% Konzentration bei einmaliger Applikation überschreiten - gehen davon aus, dass eine Erhöhung der Konzentration mehr Wirksicherheit bringen könnte (aber auch nicht unbedingt), gehen dieses Risiko aber nicht ein, weil das Risiko systemischer Wirkung (insbesondere auf das Zentrale Nervensystem) einfach zu gross ist.
Bei der hiesigen und üblichen Anwendung so wie ich sie bislang gesehen habe, wird mit diesen Salben die Haut aufgestochen und bei Bedarf wird nachgesalbt. Der Effekt ist total gut. Die Wirksamkeit kann belegtermaßen nicht wesentlich ansteigen, im Gegenteil, sie nimmt irgendwann rapide ab. Aber dafür sammelt sich das Zeug dann mit systemischer Wirksamkeit.
Also bei allem Respekt ggü mit Sicherheit sehr respektablen Tätowierern der "Bodysuit-Szene"... es gibt schlicht ernsthafte Gründe dafür, dass es gar nicht funktionieren kann. Da helfen auch keine schönen Referenzen. Subjektive, nicht validierbare Erfahrungen haben keinen Wert.
Tilidin ist auch ein richtig schönes Stichwort. Da hab ich tatsächlich Erfahrungen mit machen dürfen. Der Typ hat geschwitzt wie ne Sau und hatte auch ebensolche Schmerzen. Der Körper lässt sich halt nicht lange bescheissen. Und hier kommt dazu, dass Tilidin und Konsorten Atemdepressionen auslösen.
Was ich absolut befremdlich finde ist, dass scheinbar Epinephrin in medizinischer Kombination mit Lidocain und Tetracain verwendet wird? Das Epinephrin ist da mit drin, um an einem wirklich stark eingegrenzten Areal die Gefässe zu verengen und Blutungen für die Zeit der chirurgischen Wundversorgung zu stoppen. Das ist wirklich nur was für med. Fachpersonal. Eine flächige Verwendung nach dem Malebensodrüber-Konzept kann zu einer nachhaltigen Unterversorgung des Gewebes und damit zu Nekrosen führen.
Was in der Tat oft positiv beschrieben wird ist die Wirkung von Ibuprofen als Mittel um Schwellungen während des Tätowierens zu senken. Ein bekannter amerikanischer Tätowierer gibt als ideale Menge, die dann auch mit Sicherheit wirkt, fünf bis sechs 500mg Dosen über mehrere Stunden vor dem Termin verteilt an. Wer das probieren will, sollte sich vllt gleich das Pantoprazol dazu kaufen. Ist aber verschreibungspflichtig. Und wirft am Ende die Frage auf, ob es das wert ist? Jedenfalls für mich nicht.
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upsidedown am 17.03.2014 21:41, insgesamt 7-mal geändert.