von upsidedown » 28.01.2009 20:07
Corvidae, nochmal. Strafe ist als Restriktion nötig. Aber sie verkommt zur Farce, wenn das gesellschaftliche Korrektiv fehlt.
Der Kollege AA beeindruckt mich überhaupt nicht. Er weiß sehr genau, dass ein bundesdurchschnittlicher Ersttäter mit versteuertem Einkommen, der mal einem eine aufs Brett gibt, durchaus mit einer geringen Geldstrafe davonkommt. Oft wird schlicht das Verfahren eingestellt. Der Hintergrund, wie er schon so schön anführte, liegt darin, dass es nicht reicht objektive Tatbestandsmerkmale zu erfüllen. Es muss auch die subjektive Seite einer Tat beleuchtet werden. Bei einer einfachen Körperverletzung mit einem blauen Auge, ohne weitere gesundheitliche Folgen, der eine massive Provokation zu Grund lag, wird oft schlicht eingestellt.
Und ich lege nochmal das Beispiel auf den Tisch. Du stehst irgendwo mit Deiner Freundin an einer Jahrmarktbude oder beim Hafenfest. Es kommt ein Typ, mehr oder minder angetrunken, der sie voll labert und anzüglich wird. Du bittest ihn freundlich aber bestimmt, dass er das lassen und gehen soll. Er wird frech, beleidigt Dich ein paar Mal.
a) Du rufst die Polizei. Die nimmt was auf? Wenn sie den Typ überhaupt noch kriegt? Belästigung? Beleidigung? Was wird daraus? Biiiitte....Lerneffekt: der Typ lernt, dass ihn die Polizei nichts kann, wenn er sich verpisst und verpisst sich künftig immer dann, wenn er einer endlich das Handy zückt. Macht aber schon längst keiner mehr, weil jeder weiß, dass nichts passiert oder Schiss hat sich einzumischen. Oder er lernt, dass er sich alles erlauben kann, weil allgemeine Wohlverhaltensregeln, sogenannte ungeschriebene Gesetze einer Gesellschaft, überhaupt nicht strafrechtlich durchsetzbar sind.
b) Du bittest ihn bis zum Ausgang des Abends darum nicht zu nerven, bis Du ihn nervst und er Dir eine reinhaut. Alternativ: bis Du Dich nervst.
c) Du nimmst Deine Freundin und gehst. Der Klügere gibt ja nach. Der Lerneffekt ist für den anderen, dass er sich alles leisten kann, weil die Gesellschaft mit jeder Frechheit ein Stück zurückweicht.
d) Du willst einen schönen Abend, Du hast die Nase voll und haust dem Klatschnacken eine ordentliche Backpfeife. Der merkt, dass sowas auch mit der flachen Hand zeckt und das man das nicht mit jedem machen sollte und verpißt sich. Der Rest der tatenlosen Nebenstehenden, die alle froh waren, dass sie von dem Vollpfosten nicht belästigt wurden, aber auch keinen Deut Courage gezeigt hätten und dem Typen mal so als "gesellschaftliche Front" gegen mieses Benehmen gesagt hätten, dass er ein Clown ist, der gehen soll, freut sich still und schweigt. Dann ziehst Du Dir n schönen Tee - weil ich keinen Alkohol trinke - und entspannst Dich wieder.
Es gibt nur ein Gleichgewicht - keine Perfektion! Dazu gehört, dass Menschen manchmal die Grenze der Worte überschreiten.
Ich finde das alles soooo lächerlich. Schüttel doch mal Deinen Fernseher aus, der ist voller positiv reflektierter Gewalt. Von dem Glauben an die eigene "starke Hand", dem Wunsch selber stark sein zu können, beflügelt. Was denkst Du warum die Leute darauf so stehen? Doch nicht, weil sie soooo auf Actionszenen stehen? Ne, Gewalt ist dem Menschen zueigen.
Komisch, vor zwanzig Jahren gab es einen Spruch. "Wer nicht hören kann, muss fühlen". Den sagte man eiiiinfach so, völlig unkritisiert. Da hat jeder mit dem Kopf genickt. Da konnte ich den Ku-Damm, aber auch jede damals schon abgefuckte Gegend in Berlin ablaufen, ohne daran zu denken, dass mich einer schräg anmachen, angreifen oder blöd anlabern konnte. Und wenn es dann trotzdem wirklich einen dieser seltenen Blödmänner gab, hat er lernen müssen, dass die Gesellschaft sich nicht alles bieten lässt. Und die Teilnehmer der Gesellschaft? Sie selber wussten, dass man niemanden krankenhausreif schlägt, dass man nicht nachtritt, dass man nicht so zukloppt, dass der Gesichtsschädel zerbricht, dass man nicht mit Hilfsmitteln um sich prügelt. Heute? Wir sind alle wehrlos, ohne jede Courage, keiner traut sich mehr einzugreifen, nicht mal dagegen zu reden. Inzwischen haben wir 20 Jahre Gewaltdebatte, sollen das ja alles nicht mehr tun, schlagen unsere Kinder nicht (was auch gut so ist). Aber irgendwie? Komisch, ein immer breiter werdender Teil der Gesellschaft prügelt härter, schneller und grundloser als je zuvor und lässt sich überhaupt nicht abschrecken, benimmt sich wie die Axt im Walde und nimmt sich jeden Raum den die Gesellschaft aus Angst frei lässt.
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upsidedown am 28.01.2009 20:19, insgesamt 1-mal geändert.