Ich bekomme so langsam wirklich das kalte Kotzen mit dieser Germanwings-Geschichte. Ich bin gestern mit dieser Airline geflogen, mit einer Mordsverspätung aufgrund ausgefallener Crews. Unser Kapitän hielt dann eine unfassbar bewegende Ansprache, bei der man ihm und der Crew deutlich die eigene Betroffenheit anmerken konnte und die völlig zurecht mit einem langen Applaus belohnt wurde. Zurück zu Hause habe ich dann Nachrichten gelesen und einen Blick ins (a)soziale Netzwerk geworfen. Fehler...
Die Medien lauern derzeit an jeder Ecke, um Hinterbliebene zu stalken und daraus eine Sensation zu machen. BILD veröffentlicht Klassenfotos aus Haltern und spricht von "wahnsinnigen Amok-Piloten". Das Social Network ergeht sich in Verschwörungstheorien und hetzt gegen den "Todespiloten" und dessen Familie. Leute - geht's noch!?
Es ist etwas schreckliches passiert, es gab viele Tote und die bisher wahrscheinlichste These spricht dafür, dass jemand das Ganze mit Absicht getan hat. Das übersteigt unser aller Vorstellungskraft. Auf der Suche nach einem Schuldigen stoßen wir an Grenzen, denn der Verursacher lebt nicht mehr und die Datenlage ist ganz offenbar für unser Unrechtsbewusstsein unbefriedigend. Das aber sind die Problemchen der Unbeteiligten. Jetzt anzufangen, den Frust darüber an denen auszulassen, die trauern (und dazu gehört auch die Familie des Bruchpiloten) und unfassbares Leid durchstehen, ist absolut ekelerregend.
Mal angenommen es sei wirklich so passiert, wie es momentan berichtet wird: Wenn der Pilot wirklich "psychische Probleme" hatte, dann ist es müßig, nach einem Grund für die Entscheidung zu suchen. Leider kapiert der Mob nicht, dass eine Depression kein "Problem", sondern eine Krankheit ist. Sprüche wie "dann muss man sich mal zusammenreissen" sind völlig daneben: Wenn ich mir ein Bein breche, kann ich mich noch so zusammenreissen, der Knochen ist durch. Man kann das dann behandeln, damit er wieder zusammenwächst. Aber manchmal bleiben auch da bleibende Schäden, die von außen niemand erkennt. Eine Depression ist da nicht anders, nur erkennt das die Gesellschaft nicht an. Was da im Kopf passiert, kann auch der Kranke rational nicht erfassen. Er ist damit kein "Monster" und auch kein "Unmensch" - er braucht Hilfe. Wenn jetzt Leute, die noch nicht mal merken dass der Kollege, der ihnen den ganzen Tag gegenübersitzt, in einer schwarzen Welt lebt, Gott und der Welt vorwerfen man hätte da was machen müssen, zeigt das ganze Ausmaß der Ignoranz.
Das was passiert ist, ist schrecklich und weder zu begreifen noch in irgendeiner Form zu relativieren. Wir können nichts tun, was die Menschen wieder lebendig macht. Was wir aber sehr wohl können ist, den Hinterbliebenen den nötigen Respekt zu erweisen. Insbesondere die Familie des Piloten wird neben der Trauer auch mit Selbstvorwürfen kämpfen müssen. Wer die jetzt noch beschimpft und den Toten in den Dreck zieht, sollte nochmal über seine Sozialisation nachdenken.
Die Fluggesellschaften haben jetzt reagiert. Mehr kann man m. E. nicht machen. Eine psychologische Untersuchung der Crew wird recht wenig bringen, insofern sind die Rufe danach ziemlich sinnlos. Ob der Pilot "bekloppt" war werden wir nicht mehr erfahren.
Liebe Medien, liebes Social Network: Warum können wir jetzt nicht einfach mal respektvoll die Klappe halten und abwarten, was die Ermittlungen noch bringen.
Sorry für mein Geschwofe, aber die Ansprache im Flieger gestern ist mir wirklich sehr nahe gegangen, und der ganze Rest frustriert mich gewaltig.