Heißt das dann im Umkehrschluss, dass der von mir angesprochene Tätowierer seit 18 Jahren nur zappelige Kunden mit schlechter Haut hat?
und
Aber auch hier glaube ich nicht, dass der von mir angesprochene Tätowierer seit 18 Jahren nur schlecht gezeichnete Vorlagen bekommt.
Nee, natürlich nicht. Ich will damit sagen, dass ich ganz allgemein noch ein paar andere Dinge sehe, als du sie siehst (u.a. an deinem Bein, im Vergleich zu z.B. deinen Armen, und das hat nichts mit den Motiven oder dem Grad der Abstraktion zu tun.)
Du sprichst offenbar konkret von dem 90er-Jahre-Optik-Schädel-mit-Kulleraugen-Teil vs. dein Bein, das ist mir durch die Lappen gegangen.
Ich war schon in größeren, allgemeineren Dimensionen.
Ok, dann konkret. Es gibt genau vier Optionen, wie Menschen so eine exemplarische Gegenüberstellung von zwei so "extremen" Randbereichen der Gegenwartstätowiererei bewerten können:
1. Es gibt welche, die beides aus tiefstem Herzen geil finden, sowohl sowas wie dein Bein, als auch sowas wie wie das Schädelwerk.
2. Es gibt welche, deren Herz bei deinem Bein höher schlägt und für die der Schädel ein No-Go ist. Da gehörst du selbst dazu (hoffe ich)
3. Es gibt welche, die ganz genau auf sowas wie das Schädeltattoo abfahren, die explizit für sich einen Wert in genau solcher Machart finden, denen gleichzeitig der Gesamteindruck deines Beins aber nicht taugt.
4. Und es gibt welche, für die beide gar nicht in die Tüte (bzw. Haut) kommen.
Da gehöre ich dazu.
Alle vier Optionen haben ihre unterschiedlichen Gründe, aber die gleiche Daseinsberechtigung. Das ist alles völlig in Ordnung. Wenn man einen "von außen" versucht in eine andere Wertungsgruppe zu zwingen, dann ist das wie eine Zwangschristianisierung. Es bringt nichts.
ich will...Nur eben den Status eines guten Tätowierers infrage stellen dürfen.
Klar, darfst du doch.
Edit: Mir ist gerade was eingefallen: Hast Du evtl. das Gefühl, dass ich oder LSF "Standard-Arbeiten" weniger wertschätzen als unser geliebtes Kritzel-Zeug?
Nein, den Eindruck hatte ich nicht. Ich finde es aber besorgniserregend, Tätowierer pauschal in zwei Sorten zu teilen, die für "Standard-Arbeiten" und die für die "besonderen Wünsche".
Das machen die meisten Kunden so. Wenn es alle Kunden wären, würde das für mich bedeuten, dass ich die nächsten Jahrzehnte immer wieder die gleichen Sachen in der gleichen Weise machen müsste... was bedeutet, dass ich jede persönliche Ambition in Richtung Fortschritt und Entwicklung meiner Fähigkeiten begraben kann.
Es ist keine Schande "Standard-Arbeiten" zu machen oder "Standard-Arbeiten" in ""Standard-Ausführung" zu wollen (was auch immer man persönlich darunter sieht), aber das, was die persönliche Entwicklung antreibt sind die Sachen, die eben nicht Standard sind.
Ein Tätowierer kann sich nur so weit entwickeln, wie es seine Kunden ihm gestatten.
Da sind wir unterschiedlicher Meinung. Nach meinem Verständnis muss ein Tätowierer die Grundlagen des Handwerks können, genauso wie ein Berufsmusiker. Erst wenn die Grundlagen sitzen kann man damit arbeiten und spielen.
Nein, wir sind der gleichen Meinung. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Du bei allen Tätowierern mit dem gleichen Maß misst. Oder die Grundlagen so definierst wie ich das als Laie tun würde. Wenn die Krakeltätowierer diese Grundlagen beherrschen sollten, sollten das auch die Tätowierer für Standard-Motive tun, oder?
Doch, ich persönlich erwarte von allen, die sich Tätowierer nennen, genau die gleichen Grundlagen. Egal wohin sie ihre Entwicklung dann führt, bestimmte Fähigkeiten müssen sitzen.
Ich könnte den Mok (meinen Azubi) jetzt auch als Krakel-Spezialisten in seinem ganz eigenen Krakelstyle auf die Welt loslassen. Aber dann ist er meiner Ansicht nach nur mit einem "halben Werkzeugkasten" ausgerüstet. Sobald sein Werkzeugkasten voll ist und er die auch die Grenzen des Mediums Haut in voller Breite kennengelernt hat, dann kann er auf der Basis bauen, was er will.
(Was nicht heißen soll, dass gute Krakelei besonders einfach wäre. Genausowenig wie gute Schriften, gute Tribals, gute Sterne usw. einfach wären.)
Wenn du von deinen Tätowierern genau das erwartest, was du von ihnen kennst und magst, ist das in Ordnung. Du bist ja auch ein Tattooträger und kein Tätowierer. Ich glaube sooo sehr aneinander vorbei reden wir gar nicht.
@flip:
Mein persönlicher Qualitätsanspruch (an Gestaltung und Ausführung) ist wesentlich höher als du denkst. Und auch wesentlich höher, als meine eigenen Arbeiten zeigen.
Pragmatisch bin ich deshalb, weil ich mich damit abgefunden habe, dass man manche Dinge einfach nicht ändern kann. Das ist für mich der einzige Weg, um nicht kaputt zu gehen, nicht nach unten oder zur Seite treten, sondern nach oben greifen und vorankommen.
Kommen Leute rein und sehen mich als ihnen unterstehenden verschissenen Dienstleister können sie auch direkt wieder gehen. Da halte ich mich nicht mehr lange auf, das ärgert mich auch nicht mehr. Ich möchte Kunden auf gleicher Augenhöhe.
Was mich immer wieder enttäuscht, ist wenn ein Kunde sich nicht über das Tattoo, was ich ihm gemacht habe freut. Sondern nur fertig werden will, bei Großprojekten ab der zweiten Sitzung gedrängelt wird (schneller schneller, kost ja Geld), manche ein in meinen Augen noch lange nicht fertiges Tattoo für "fertig" erklären (ist doch gut, reicht doch so, was hast du denn) oder wenn ich sehe, wie meine Arbeit mit Füßen getreten wird. (Scheiß Pflege, Sonne braten.)
Meine Frau sagt manchmal ich muss mich lösen lernen. Aber das ist gefährlich, denn wenn mir die Dinge, die mich aufregen gleichgültig würden, dann wären mir logischerweise meine Arbeiten egal... eine Gratwanderung.