
Buchstabensuppe
Ein neuer Tattootrend rollt derzeit über mein Studio hinweg: "Buchstabensuppentattoos". Diese "neuen" Tattoodesigns sind wahrscheinlich auch Spätfolgen der erfolgreichen und beim Zuschauer wohl beliebten Serien wie Miami-Ink die einem suggerieren, daß ein Tattoo nur dann "Sinn" macht wenn eine tiefgründige Bedeutung dahinter steckt. Was viele dabei übersehen ist, daß die einzelnen "Kunden" in diesen Serien im Vorfeld gecastet werden. Sprich jeder Interessent der sich innerhalb dieser Fernsehserie tätowieren lassen will, muss vorher einen Fragebogen ausfüllen auf welchem auch nach den Hintergründen und der tieferen Bedeutung des gewünschten Hautbildes gefragt wird. Anhand der Antworten auf diesem "Bewerbungszettel" werden dann die einzelnen Kandidaten ausgewählt. Dabei spielen natürlich die Größe und der Aufwand des gewünschten Tattoos eine Rolle, aber vor allem auch die Geschichten dazu. Durch die versprechen sich die Macher dieser Formate höhere Einschaltquoten. Dem ein oder anderen Zuschauer drängt sich allerdings die Annahme auf, das ein Tattoo nur dann toll ist, wenn sich eine dramatische Geschichte oder zumindest eine tiefschürfende Bedeutung dahinter verbirgt. Anders kann ich mir zumindest die massive Zunahme von "Buchstabensuppentattoos" nicht erklähren. Falls Sie, lieber Leser, nicht wissen wovon ich spreche, es geht um die Tattoos bei denen Buchstaben für den nicht eingeweihten Betrachter, sinnlos aneinander gereiht werden. Zumeist sollen diese Kreationen Familientattoos darstellen: also für jedes Familienmitglied jeweils einen Buchstaben...vorzugsweise den ersten Buchstaben des Vornamens. Die Kunden die mit solch einer Idee zu mir ins Studio kommen haben es zumeist nicht leicht. Das darauf folgende Gespräch verläuft zumeist so oder so ähnlich:
"Also, Du möchtest für jedes Familienmitglied einen Buchstaben?"
"Ja"
"Für wen lässt Du Dich denn tätowieren"
"Für mich natürlich"
"Natürlich, und Du hast Angst, daß Du die Namen Deiner Eltern und Geschwister irgendwann einmal vergessen könntest?"
"Ääähhh wieso?"
"Naja, mit den einzelnen Anfangsbuchstaben hast Du dann wenigstens einen Anhaltspunkt...wobei so wirklich ist Dir dann auch nicht geholfen, da Du ja dann wahrscheinlich auch nicht mehr weisst welcher Buchstabe zu wem gehört"
"Hääää?...Wie jetzt?"
"Naja, glaubst Du daß Du Dich später nur durch die Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen an sie erinnern kannst, bzw. die Buchstaben dann noch richtig zuordnest?"
"So ein Unsinn, natürlich kann ich mich an meine Familienmitglieder erinnern, sie sind mir schließlich wichtig...ich werde mich immer an sie erinnern können!"
"Bist Du Dir da ganz sicher?"
"Natürlich, was soll die doofe Frage?"
"Glaubst Du, Du wüsstest auch noch wie sie heißen ohne das Du Buchstaben als Hilfestellung hättest?"
"Sicher, was denkst Du denn?"
"dann frage ich Dich: Warum willst Du dann Buchstaben tätowiert haben?"
"...ähhhhh?"
Leider setzt an dieser Stelle bei den wenigsten Kunden die Einsicht ein. Zumeist drehen wir uns danach mit unseren Argumenten etwas im Kreis, bis es mir irgendwann zu doof wird, ich einfach nachgebe und versuche aus den mir vorgegebenen Buchstaben wenigstens etwas optisch ansprechendes zu basteln. Manchmal kommt die Einsicht bei meinen Kunden etwas Zeitverzögert. Gerne erinnere mich in diesem Zusammenhang an Katha. Die wollte zu Anfang auch unbedingt eine Komposition aus drei Buchstaben, für jedes ihrer Kinder einen. Stilistisch sollte das Tattoo grob in Richtung Jugendstil gehen. Ich hatte relativ schnell aufgegeben dagegenzureden, denn wie schon einmal erwähnt sind Mütter in solchen Fällen eher hartnäckig beim Verteidigen ihres Tattoowunsches. Um so erfreuter war ich, als ich zwei Tage später von ihr eine Mail erhielt in welcher sie mir vorschlug den bisherigen Plan über den Haufen zu werfen und anstelle des Buchstabensalates etwas anderes zu stechen." Es wurde dann eine an eine Büste von Mucha angelehnte Dame mit zufriedenem Gesichtsausdruck. Den Kopf der Dame ziert eine art Krone, in welcher drei kleine Steine eingearbeitet sind, wobei jeder dieser Steine für eins ihrer Kinder steht. Ich habe keinen Zweifel daran, daß sie auch ohne Buchstaben die Namen ihrer Kinder nie vergessen wird.