Du brauchst niemand, der dir eine Vorlage erstellt. Das machen gute Tätowierer gleich selbst.
der ja in ähnlicher Form hier im Forum hundertfach zu lesen ist, muss ich – insbesondere nach einigen Gesprächen mit Tätowierern, die wohl niemand als schlecht oder auch nur durchschnittlich bezeichnen würde – mal zu diesem Thema etwas schreiben, was mir schon seit Monaten unter den Nägeln brennt: Ich halte diese Aussage in ihrer Absolutheit schlichtweg für falsch:
Gerade unter den „alten Hasen“ gibt es genügend hervorragende Tätowierer, die sogar von sich selbst behaupten, überhaupt nicht oder nur sehr eingeschränkt malen oder zeichnen zu können. Nicht wenige von denen tätowieren vornehmlich (bzw. ausschließlich) Portraits und/oder Flashvorlagen oder entwickeln ihre Arbeiten durch die Kombination von Vorlagen, welche sie mitgebracht bekommen, aus dem Netz ziehen oder aus Büchern entnehmen. Die Sachen werden dann durchgepaust und so ein Stencil entwickelt. Zeichnerische Eigenleistung ist dabei kaum vorhanden. Sind solche Leute dann schlechte Tätowierer? Doch wohl nur dann, wenn tätowiertechnische Umsetzung defizitär ist.
Wir haben unter den Tätowierern eine Vielzahl von Leuten, die eben nicht in ihrer Jugend großartig zeichnen gelernt haben, die als „Anfänger“ im Tätowieren nicht einmal im Ansatz über die heute allgemein verfügbaren Informationen zu den Themen Tätowiertechnik, Farben, Maschinen usw. verfügten und sich all diese Dinge in mühevoller Kleinarbeit selbst draufschaffen mussten. Man rede mal mit Leuten wie Fredl (Heute Triple T) oder „unserem“ Uwe Güldner darüber, wie man damals an Infos und/oder Equipment kam (ohne Internet und so..). Das war alles andere als mühelos.. und das in einer Szene, in der – zumindest hier in Deutschland – vieles auch gerne als „Geheimwissen“ angesehen wurde.
Daß man heute Leute findet, die nach 3 Jahren Tätowierpraxis Sachen raushauen wie ein Daniel Gensch, Flo Karg usw. wäre seinerzeit schlichtweg unmöglich gewesen – man war viel zuviel damit beschäftigt, sich ganz grundsätzliches mühsam erarbeiten zu müssen. Zu der Zeit war Tätowieren fast ausschließlich die Wiedergabe von bereits vorhandenen Motiven. Großartige kreative Eigenleistung war weder gewünscht noch wurde sie (auf breiter Front) geleistet. Wenn heute jemand seit 20 Jahren oder länger tätowiert, dann ist die Chance groß, daß diese Person keine Kunsthochschule oder derartiges besucht hat. Die Produktion von Kunst war und ist nicht das Selbstverständnis.
Aber macht sie das zu schlechten Tätowierern? Was ist mit den sicher 70% aller Tätowierungen, die in der Weltgeschichte rumlaufen, die keine aufwändigen Customarbeiten sind. Blumen mit Schnörkeln, Umsetzungen klassischer Oldschoolflashs, „abtätowierte“ Fotos oder Filmplakate usw. All so etwas erfordert null (oder wenige) kreative oder zeichnerische Skills – sonder „nur“ die Fähigkeit, abzupausen und eine gute Tätowiertechnik.
Ich glaube, man diskreditiert hier oft zu Unrecht all die Leute, auf deren Leistungen und Kenntnissen viele derjenigen Leute aufbauen, die heute auch oder überwiegend Customarbeiten erstellen. All die von diesen heute selbstverständlich verwendeten Techniken mussten entwickelt und weitergegeben werden – und das wird für mich oft übersehen.
Davon abgesehen, sind viele von diesen „Alten Herren“ unter den Tätowierern nach meiner bescheidenen Auffassung noch heute für die „Szene“ von erheblicher Bedeutung – nicht zuletzt weil sie tolle Arbeiten raushauen.
Mir tut es in der Seele weh, wenn ich dann hören muss, daß sich von diesen Einige „abgehängt“ oder unbedeutend vorkommen, weil sie hier regelmäßig sinngemäß lesen dürfen „Ein guter Tätowierer kann auch gut zeichnen“. Ich denke, manchmal würde ein wenig Bewusstsein dafür, daß ein weit überwiegender Teil aller – und wahrscheinlich auch aller guten – Tätowierungen keine hochkreativen Customarbeiten sondern – vom zeichnerischen her – „Brot-und-Butter-Tätowierungen“ sind, durchaus hilfreich sein.
Deshalb schmerzt es mich persönlich auch immer, wenn bei Tätowierern hier oft von „Künstlern“ gesprochen wird. In weiten Teilen diskreditiert das nicht nur den Kunstbegriff (um den es mir hier – so von wegen Topic – nicht geht) sondern würdigt auch all diejenigen Personen ab, die sich selbst nicht als solche begreifen sondern sich als gute Handwerker verstehen – und als solche hervorragende Arbeit leisten (und das nicht selten ohne die Allüren, die man zuweilen bei solchen Leuten beobachten „darf“, die sich auch selbst primär als Künstler begreifen und ihre „Kunden“ als Leinwand ihrer Selbstentäusserung).
Das musste ich einfach mal schreiben. Sorry für’s stören.
Ach so: Bevor sich jemand hier zu Unrecht kritsiert fühlt: Ich habe das obige Zitat lediglich als Anlass genommen und mir ist auch bewusst, daß dieses nicht einmal von einer zeichnerischen Erstellung der Vorlage spricht. Insoweit bereits meine Entschuldigung an den User georgrockt! Bitte nicht persönlich kritisiert fühlen - Du hast meinen obigen Beitrag lediglich kausal aber nicht schuldhaft (um es mal juristisch auszudrücken) verursacht.
Peace!