Dieser Thread war der Auslöser.
Dort fragte "m350z" nach Tattoos/Tattoomotiven amerikanischer Ureinwohner. Das Thema wandelte sich dann in eine Unterhaltung darüber, ob man als Europäer sowas überhaupt tragen darf.
Ich zitiere an dieser Stelle "MJackson":
Ich hoffe, du bist nicht weiß, sonst wäre das mal wieder ein trauriger Fall von kultureller Aneignung.
Nein, ich kenne ihn nicht, und vielleicht bin ich etwas sensibel, allerdings bin ich gerade in diesem Tattoo-Umfeld immer wieder erstaunt, wie unreflektiert und wahllos sich bestimmte Stile oder Schriften angeeignet werden, und dabei geht es meist doch bloß um irgendeine Ästhetik. Oder weil man da mal im Urlaub war.
Und, auch für dich, Segler, ich mache einen Unterschied zwischen der Nutzung von Lebensmitteln und dem Verwenden oftmals religiöser Symbolik.
Nur ein Denkanstoß, dass man sich auseinandersetzen sollte mit der postkolonialen Einstellung, mit der man so durchs Leben eiert.
"Irida" wünschte sich eine Fortführung der Diskussion, also hier ist sie.
Diese Aufregung über sogenannte "kulturelle Aneignung" sehe ich eher als Phänomen der Großstädte an. Nach meinem Informationsstand sind noch halbwegs natürlich lebende Ureinwohner oft sehr wohlwollend, wenn man als Europäer einen tieferen Einblick in, bzw. eine Teilnahme an ihrer Kultur und ihren Riten wünscht (solange man sich respektvoll verhält, aber das sollte ja eh selbstverständlich sein).
Dabei denke ich nicht nur an Tattoo-Kunst, sondern auch an schamanistische Rituale, Mythologie und den Konsum "heiliger" Drogen. Dr. Christian Rätsch z.B. hat zwei Jahre lang bei amerikanischen Ureinwohnern gelebt, mit ihnen über vorchristliche Mythen diskutiert, Pilze gefuttert und Ayahuasca getrunken. Laut ihm sind Schamanen jederzeit bereit, einem körperlich oder spirituell verletzten oder einfach nur nach Antworten suchenden Menschen zu helfen; die Hautfarbe oder vor hunderten Jahren begangene Völkermorde spielen dabei offenbar keine Rolle.
Meiner Erfahrung nach wird das "Problem" mit "kultureller Aneignung" vorallem von Leuten propagiert, welche 1. so wenig mit dem obigen Szenario zu tun haben, wie es nur möglich ist (Großstadtleben, seit Jahren keinen richtigen Wald mehr betreten, kein Interesse an vorchristlicher / vorislamischer Geschichte, Kultur oder Religion) und 2. ideologisch entweder in einer modernen Form des Linksradikalismus anzusiedeln sind (sofern selbst weiß) oder eine gegen Weiße gerichtete Form des Rassismus vertreten.
Größtenteils geht es bei diesem Thema übrigens um Frisurenfragen.
Weiße "dürfen" nämlich keine Dreadlocks tragen. Dass es durchaus historische Abbildungen von Kelten mit dieser Haartracht gibt, interessiert im Zweifelsfall niemanden und auf manchen linken Veranstaltungen werden Dreadlockträgern gerne mal Zettel mit der Aufschrift "Abschneiden!" zugesteckt. Als hätte nicht jeder das Recht, über sein Aussehen selbst zu bestimmen.
Ich persönlich käme jedenfalls nie auf die Idee, einen Italiener dafür anzupöbeln, dass er Hosen trägt, obwohl die Römer als böse Eroberer zu meinen Vorfahren kamen und dort dieses "merkwürdige" Kleidungsstück entdeckten (können riesige Kulturgebäude errichten, aber keine Hosen erfinden. Die spinnen, die Römer!

Beim Thema "Religiöse Symbole anderer Ethnien" klingeln mir ein wenig die Ohren, da ich mir selbst bald die Darstellung einer ägyptischen Gottheit stechen lassen werde. Im Alltag erwarte ich aber diesbezüglich keine Belehrungen, da das übliche Klientel wohl kaum Khepri erkennen und zuordnen kann.

Mal eine kleine Anekdote, um aufzuzeigen, wie dieses Thema zum Teil auf der anderen Seite des großen Meeres gehandhabt wird:
In einem deutschen Forum für germanisches Neuheidentum entstand vor Jahren mal eine interessante Diskussion um die Frage, was man von einem in Deutschland lebenden Schwarzen halten würde, der zu germanische Göttern betet.
Natürlich gab es unterschiedliche Meinungen dazu, aber die wurden sehr zivilisiert vorgebracht: Einige waren der Meinung, dass die Herkunft einer Person fest mit den Göttern des Landes der Geburt verknüpft sei und es deshalb "unnatürlich" wäre.
Andere vertraten die Ansicht, dass jeder die Richtung einschlagen solle, in die es einen zieht und dann gab es auch noch den Gedanken, dass man als "Heide" vielleicht allgemein den jeweils lokalen Göttern Ehre erweisen und z.B. als deutscher Tourist in Nordamerika statt zu Wotan eher zum Manitu beten sollte.
Soweit ich mich erinnere, fühlte sich keiner durch die Vorstellung beleidigt, dass Fremde unsere Götter oder Mythen "klauen". Da müsste ja auch schon seit Jahren ein Sturm gegen die amerikanische Filmindustrie und große Comicbuchverlage laufen.
Meine 2 Pfennige dazu. Vielleicht möchten sich ja noch andere dazu äußern.