Boah, da habt Ihr Euch aber ne schwere Frage rausgesucht.. also erst beantworten, was Kunst ist und dann ne Beziehung zu Wertvorstellungen herstellen und dann mal gucken, wie ein mit oder ohne das andere funktioniert. Also, ich habe auf „Das kommt darauf an..“ geklickt. Hier ist, warum (Achtung, das wird länger):
Vorfrage: Was ist (für mich) Kunst? Ich glaube, daß es fast unmöglich sein wird, Kunst letztlich wirklich befriedigend zu definieren – Verfassungsjuristen versuchen sich schon ewig daran. Ich denke aber, daß als Arbeitshypothese die Kunstdefinition des BVergG in seinem sog. Mephisto-Beschluss ganz gut funktioniert:
Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung sei die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit sei ein Ineinander von bewussten und unbewussten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirkten Intuition, Fantasie und Kunstverstand zusammen; es sei primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck, und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers.
Wenn also Kunst zunächst unmittelbarer Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers ist, dann ist es zwingend, daß man jedenfalls seine Persönlichkeit nicht von seinen Werken trennen kann Insoweit ist es nicht etwa so, daß man (primär - dazu unten mehr) zur Beurteilung der Kunst die Kenntnis der Persönlichkeit des Künstlers bräuchte, sondern daß vielmehr umgekehrt dessen Persönlichkeit aus dem jeweiligen Werk „fließt“ oder anders gesagt: Zur Beurteilung der Persönlichkeit kann (und muss) man die Kunst heranziehen.
Warum ist das wichtig? Die Persönlichkeit ist keine singuläre Sache, keine feststehende Größe oder auch nur EINE Sache überhaupt, sondern das Konglomerat sämtlicher gefestigter psychologischen Zustände einer Person, D.h. sowohl die moralischen als auch die logischen, spirituellen, sexuellen, kognitiven, empathischen, affektiven, selbstreflektiven usw. Potentiale und Fähigkeiten eines Menschen formen dessen Persönlichkeit. Nun weiss man aber heutzutage, daß alles diese Subaspekte sich nicht quasi aneinander entlang entwickeln oder bei einem Menschen immer gleich weit oder fortgeschritten entwickelt sind. Wir alle kennen Leute mit phänomenalen logischen Fähigkeiten aber ohne jegliche Beziehung zu ihrem Körper, Menschen mit einer durchaus hoch entwickelten sexuellen Identität, die aber dumm wie Weissbrot sind, spirituell erleuchtete Wesen, die trotzdem nicht die Finger von ihren Schülerinnen lassen können usw.
Nun wird aber kein Künstler bei jedem Werk alle Subaspekte seiner Persönlichkeit verarbeiten oder in Form giessen. Vielmehr wird er möglicherweise den sexuellen Aspekt sehr betonen (Jeff Coons), den spirituellen Aspekt sehr herausheben (Alex Grey, Mark Rottko), den logischen Aspekt betonen (Frank Stella) oder seine moarlisch-ethischen Empfindungen darstellen (Anselm Kiefer) usw.
Wenn man also Kunst betrachtet und sich die lustige Schulfrage stellt: „Was will uns der Künstler damit sagen?“ dann wird es nur sehr wenigen, intuitiv unendlich begabten Menschen ohne weiteres möglich sein, das jeweilige Werk zu verstehen ohne gleichzeitig zu begreifen, welchen Teil seiner Persönlichkeit (oder welche Teile) der Künstler hat nach Aussen fließen lassen. Manchmal wird das aus dem Werk selbst sehr deutlich (Jeff Coons, sakrale Kunst) manchmal braucht man dafür einfach bestimmte Hintergrundinformationen, weil man es sonst einfach nicht rafft (ohne die Kenntnis der Kriegserfahrungen eines Josef Beuys und damit dieses Teils seiner Persönlichkeit wird man nie – auch nicht mit noch so viel intuitivem Gespür – raffen, warum bei dem ständig Filz und Fett verwendet wird).
Wenn nun beispielsweise jemand Kunst produziert, die z.B. Teile seiner Persönlichkeit repräsentieren, die sich völlig weltanschaulich unabhängig entwickeln können, wie z.B. Sexualität, ästhetisches Empfinden, logische Fähigkeiten, Spiritualität (bis zu einem gewissen Grad.. irgendwann beissen sich gewisse Erfahrungen mit bestimmten Einstellungen – d.h. entweder das eine oder das andere tritt einfach nicht [mehr] auf. Man kann halt nicht 20 Jahre Meditieren und dabei Nazi bleiben) oder kognitives Potential, dann kann mir – wenn es nur um die Betrachtung der Kunst an sich geht – völlig Latte sein, wie z.B. der Künstler politisch tickt. Weder wird dessen Einstellung durch sein Werk nach Aussen treten noch brauche ich sie als eventuelle Hintergrundinfo um das entsprechende Kunstwerk zu verstehen.
Wenn aber ein Kunstwerk z.B. moralische Subaspekte der betreffenden Künstlerpersönlichkeit transportiert oder sogar genuin politisch ist, dann spielt die Weltanschauung des Künstlers ganz definitiv eine – eventuell sogar die entscheidende – Rolle. Entweder dringt sie ohnehin durch das Werk hindurch oder ich brauchte ihre Kenntnis um das Werk zu verstehen.
Eine ganz andere Frage ist für mich diejenige, ob ich persönlich in der Lage bin, noch Genuss an einem Werk zu finden, über dessen Erschaffer ich weiss, daß er ein Nazi oder ein glühender RAF Anhänger ist – aber das hat etwas mit mir und nicht mit der Kunst zu tun. Ich würde mir auch den erleuchtetsten Mediationslehrer nicht „nehmen“ wenn ich wüsste, daß der jede zweite seiner Schülerinnen durchnudelt oder ansonsten ne ausgesprochen dürftige Affektsteuerung hat – auch wenn das eine nicht zwingend was mit dem anderen zu tun hat.
Edith sagt: Bei Tätowierungen ist das für mich übrigens tatsächlich meist etwas anderes, weil nach meinem Verständis so gut wie kein Tätowierer (von wenigen prominenten Ausnahmen abgesehen) tatsächlich Kunst produziert (sorry, folks - das ist für mich weitgehend Kunsthandwerk) und daher für mich da eher der Aspekt persönlicher Sympathie und Antipathie bestimmter Weltanschauungen eine Rolle spielt.. kurz gesagt: Ich kaufe nicht bei Nazis
Expect nothing..