So, noch eine doofe Telefonkonferenz und dann ist für drei Wochen Ruhe. Hätte die Welt doch bloß nicht so viele Zeitzonen...
Weil ich heute einen so ganz bescheidenen Tag mit einem Online-Buchhändler hatte, sehe ich mich hier genötigt, eine Lanze für den Laden an der Ecke zu brechen. Überall sterben diese kleinen Geschäfte aus, in denen man so herrlich stöbern konnte. Jetzt ist ja nicht Amazon allein daran Schuld, aber dieser Konzern hat mittlerweile einfach zu viel Macht in der Branche.
Ich arbeite für einen der grössten Musiknoten- und buchverlag der Welt mit Sitz in Los Angeles und betreue die Händler im deutschsprachigen Raum, den Niederlanden und Norwegen. In allen Länder hat das Sterben der Musik- und Buchhändler im vergangenen Jahr dramatische Ausmaße angenommen- nicht zuletzt, weil Amazon einfach ALLES hat und zum nächsten Tag liefert. Das KANN der kleine Laden nicht leisten, dafür gibt es einfach zuviele Produkte. Besorgen können aber auch die "Krauter" jeden Titel, nur halt nicht so schnell, und der Kunde hat da heute nur noch wenig Einsicht. Billiger ist es ja online nicht, es gibt ja zum Glück noch die Buchpreisbindung. Es ist also eigentlich nur eine Frage der Bequemlichkeit. Was Amazon nicht leistet ist Beratung. Die Produktempfehlungen werden von Algorithmen erstellt und passen immer, aber eben nur innerhalb der Schublade, die der Kunde aufgrund seines Kaufverhaltens aufgemacht hat. Blicke über den Tellerrand, neue Erfahrungen, also wirkliche Vielfalt gibt es nur im seltensten Fall. Es fehlt der persönliche Kontakt. Ohne die Händler gilt irgendwann das Diktat aus Amazonien, und mit Kindle und Co. weiss der Empfehlungsalgorithus auch immer ganz genau, wo ich bin, was ich lese, wie schnell oder langsam und wo und wann ich umblättere. Am Ende sind wir dann gefangen in unserer persönlichen Profil-Schublade. Und es gibt dann keine Händler mehr, die uns befreien.
Es geht aber mittlerweile noch weiter. Natürlich macht unser Verlag einen riesigen Umsatz mit Amazon, seit dem grossen Sterben hat sich der Laden zum grössten Kunden entwickelt, was prinzipiell gut ist, denn im Auftrag unserer Autoren möglichst viele Bücher zu verkaufen ist unser Job, das Wie ist zweitrangig. Nur gibt es fast keine Basis mehr, und Amazon ist nun in der Lage, die Verleger unter Druck zu setzen.
Im Buchhandel gibt es keine Einkaufspreise. Der Verkaufspreis steht durch die Buchpreisbindung fest, und jeder Händler bekommt einen individuellen Rabatt auf den Verkaufspreis. Von der Differenz aus beidem bestreitet er sein Geschäft und wir unseren Verlag. Amazon hingegen diktiert den Rabatt. Es wird nicht verhandelt. Wer mitmachen will, muss akzeptieren. Zusätzlich zum exorbitant hohen Nachlass genehmigt man sich noch Lagerkosten, Vertriebs- und Marketingpauschalen und ein unfassbar kompliziertes logistisches Regelwerk, das auch nicht gerade preiswert ist. Einfluss auf die Platzierung eines Titels oder gezieltes Marketing ist nicht möglich - ein Buch wird gelistet und dann den Algorithmen überlassen. Das geht meistens gut, aber manchmal auch katastrophal daneben. Und dann ist man verloren, denn trotz all des Geldes, was man nach Amazonien schickt, gibt es keine Ansprechpartner, sondern ein Ticketsystem, das im besten Fall nach einer Woche zur Lösung führt, in 80% der Fälle aber versagt.
Jetzt möchte Amazon seit einigen Wochen mehr Rabatt, und ich weigere mich. Zur Strafe wird nun die Lieferzeit unserer Produkte künstlich verlängert, oder die Titel werden als "wegen Abweichungen von der Produktbeschreibung gesperrt" markiert. Das ist Erpressung, und das ist schon mit vielen anderen Verlagen so gelaufen.
Gleichzeitig wirbt Amazon nun um Autoren und steigt selber in das Verlagsgeschäft ein. Allerdings machen die kein Lektorat, keine Satzkorrektur und kein Layout - darum muss sich jeder selber kümmern und die Qualität geht zum Teufel. Am Ende bleibt ein grosser Superhändler übrig, der alles selber verlegt und die totale Kontrolle hat. Ein Albtraum.
Bitte geht, wann immer möglich, zu eurem Buchhändler und nehmt auch mal drei Tage Lieferzeit in Kauf. Hier hat es der Kunde in der Hand, nicht nur eine ganze Branche, sondern ein wichtiges Stück Kultur zu retten.
Hoppla, das war lang. Aber mir war's wichtig.