Hallo miteinander
Ich möchte mir hier gerne meine Gedanken und Gefühle von der Seele schreiben. Jeder darf seine Meinung dazu schreiben und antworten. Ich freue mich auf eure Kommentare und Gedanken zu diesem Thema… Es ist mir bewusst, dass ich hier in einem Forum von Tattoo-Befürwortern poste. Ich bin auch nicht per se contra Tattoos. Ich möchte einfach nur meine Erfahrungen und meine Situation beschreiben.
Hintergrund: Ich bin seit 13 Jahren tätowiert, an beiden Beinen. Am rechten Bein sogar ziemlich gross. Ich war ein schwieriges Kind und habe wirklich stark pubertiert. Als ich dann 18 wurde habe ich mich sofort tätowieren lassen. Ein grosses schwarzes Tribal auf die rechte Wade. Im Laufe der Jahre, bis ich etwa 26 war, kamen immer wieder ein paar kleinere Tattoos hinzu. Insgesamt sind es jetzt 6. Alle an den Beinen und auch auf beiden Füssen. Das Tribal habe ich mir vor einigen Jahren sogar überstechen lassen, weil ich es nicht mehr sehen konnte. Das Resultat war aber natürlich ein noch grösseres schwarzes Tattoo. Zwar nicht ganz so extrem wie das linke Bein von Lionel Messi, aber doch relativ gross und schwarz.
Während ich früher, Alter 18 – 26, wirklich stolzer Tattooträger war und auch bei jeder Gelegenheit kurze Hosen trug um sie zu zeigen, hat sich meine Sicht der Dinge in den letzten Jahren doch verändert. Mittlerweile bin ich 31, habe eine Familie gegründet und einen festen Job im Aussendienst. Ihr ahnt sicher schon wo das hinführt. Mittlerweile bin ich nicht mehr so stolz auf meine Tätowierungen. Im Gegenteil, ich schäme mich sogar richtig dafür. Im Winter denke ich fast nie dran, ausser wenn es mal in die Sauna geht. Aber dann kann man ja einen langen Bademantel tragen. Im Sommer aber, so wie jetzt, wenn die heissen Tage beginnen, verfalle ich immer in eine Art Depression. Während sich die halbe Welt in die Sonne stürzt oder am See hängt, traue ich mich fast nur mit langen Hosen aus dem Haus. Was natürlich ab 30C eine Qual ist. Dann habe ich auch richtig schlechte Laune, was die Sommerstimmung noch mehr trübt. Ich will nicht sagen, dass es eine handfeste Depression ist, aber ich denke dann doch wirklich viel und häufig dran. Die Gründe für diese Gedanken sind vielfältig:
Einerseits natürlich ästhetische Gründe. Meine Tattoos sind sicher nicht mehr die coolsten. Ausserdem habe ich auch nicht nur einen Stil, sondern wirklich querbeet und bunt (wie gesagt schwarz, aber auch rot, grün und violett). Und das grosse, schwarze Tattoo ist natürlich schon aus 100m Entfernung zu erkennen. Wenn ich eine kurze Hose trage, ist es mir richtig unangenehm wenn jemand hinter mir läuft. Klar, dass derjenige dann auf meine Beine schaut. Es gibt ja wirklich schöne Tattoos da draussen. Und auch Leute die sie mit Stolz tragen und zeigen. Ich gehöre leider nicht dazu. Dann bin ich neidisch. Wieso kann ich mich nicht so präsentieren? Ich bin auch sonst nicht gerade der selbstbewusste Typ. Aber wenn ich mit kurzen Hosen rumlaufe, dann möchte ich mich am liebsten unsichtbar machen.
Zweitens sind auch persönliche, charakterliche Gründe Ursache meiner negativen Stimmung. Ich bin einfach nicht mehr der aufmüpfige Rebell oder Querulant, will ich auch gar nicht mehr sein. Früher wollte ich um jeden Preis auffallen. Gefärbte Haare, lautes Auftreten und buntes Outfit, vorlaut noch dazu, ich war einfach da. Heute will ich überhaupt nicht mehr auffallen und von den Leuten angekuckt werden. Das bin gar nicht mehr ich, ich will lieber unauffällig in der Masse verschwinden. Aber natürlich schauen die Leute doch immer, wer der Typ mit den bunten Beinen ist. Auch in meinem direkten Umfeld fühle ich mich manchmal unwohl. Meine Schwiegereltern sind zwar sehr nett und ich verstehe mich super mit Ihnen, aber sie sind doch sehr altmodisch. Seitdem wir mal zusammen Fussball geschaut haben und sich das Gespräch plötzlich um die tätowierten Spieler drehte und wie schrecklich die doch aussehen, traue ich mich sowieso nur noch mit langen Hosen zu meinen Schwiegereltern. Früher war es mir sowas von egal, was die Leute von mir dachten. Was interessiert mich deren Meinung? Heute ist das anders. Ich glaube, ich bin doch sowas wie „erwachsen“ geworden. Auf der Sommerparty der Firma in kurzer Hose auftauchen? Völlig undenkbar für mich. Lieber schwitz ich mich kaputt. Komisch ist, dass ich in der Vergangenheit zwar Fan von Tattoos war, aber Anderen immer davon abgeraten habe, sich selber tätowieren zu lassen. Meine beste Freundin und meine Schwester wollten sich auch tätowieren lassen, ich habe es beiden aber ausgeredet. Sogar mit derselben Begründung die jetzt bei mir zutrifft: „Später wirst du es sicher irgendwann bereuen!“. Wieso habe ich es dann selber gemacht? Das ist doch bizarr und aus heutiger Sicht für mich absolut unverständlich. Meinen Eltern mache ich sogar insgeheim Vorwürfe, dass sie mich nicht davon abgehalten haben. Sie wussten sogar von meinen Plänen, hatten aber eher die Einstellung „soll er doch, er ist ja jetzt erwachsen“. Wahrscheinlich hätten sie mich sowieso nicht stoppen können, aber sie haben es auch erst gar nicht versucht. Ist natürlich unfair von mir, denn ich habe mich ja auch noch mit 25 tätowieren lassen. Aber irgendwie glaube ich, dass wenn ich das erste schon nicht hätte stechen lassen, auch kein zweites, kein drittes, (…) dazugekommen wären.
Drittens sind da auch gesundheitliche Gründe. Es wird ja viel geschrieben über die Tattoofarben, über mögliche medizinische Folgen etc. Seit ich einen wissenschaftlichen Artikel gelesen habe, der Tattooträgern generell davon abriet, sich in der Sonne aufzuhalten (weil UV-Licht die Farbe spaltet und sich die Teile dann in den Lymphknoten ablagern und diese verstopfen, was zu Krebs führen kann), habe ich fast Paranoia. Dann schmiere ich mir die stärkste Sonnencreme an die Beine, was natürlich auch wieder blöd aussieht. Ich bin jetzt Familienvater und muss doch möglichst lange für meine Liebsten da sein. Nicht auszudenken, wenn ich wirklich mal krank werden würde wegen meinen Tattoos. Als ich vor einigen Jahren mein Tribal wirklich nicht mehr ertragen konnte und es schliesslich habe überstechen lassen, habe ich vorher auch lange überlegt es weglasern oder sogar abrasiv entfernen zu lassen. Schlussendlich erschien mir aber ein Cover-Up als einfachere Lösung. Als ich dann danach immer mehr über die Inhaltstoffe der Farben las, habe ich natürlich auch das Cover-Up bereut. Wieso habe ich mir jetzt ausgerechnet noch mehr Farbe unter die Haut gejagt? Und muss ich es in 10 Jahren schon wieder machen lassen? Manchmal ertappe ich mich auch bei Gedanken à la „Jetzt ist es auch schon egal“. Wenn ich zum Beispiel überlege ob ich was ungesundes essen, oder noch ein Bier mehr trinken soll oder sogar wenn es um’s Rauchen geht. Dann denke ich mir Dinge wie „Ach du hast eh schon das Maximum an potenziellen Krebserregern intus, darauf kommt’s jetzt auch nicht mehr an“.
Ich weiss nicht, ob alle meine Ängste oder Überlegungen wirklich rational sind. Gut möglich dass ich auch einfach ein Dummkopf bin, der zu viel über Dinge nachdenkt. Auf jeden Fall beschäftigt mich diese Sache und tut mir nicht gut. Ich schreibe das hier Alles als eine Art Katharsis, einfach um es mir mal von der Seele zu schreiben. Wirklich niemand aus meinem Bekannten- oder Freundeskreis ist tätowiert und würde mich verstehen. Ich erwarte keinen Trost von euch, auch keine Lösung für meine Situation, aber vielleicht geht es ja dem einen oder anderen ähnlich. Dann würde es mich freuen sich ein wenig auszutauschen.
Falls das hier jemand liest, der selber überlegt sich tätowieren zu lassen, dann kann ich nur folgendes mit auf den Weg geben: Ich denke, dass Alles im Leben seine richtige Zeit und seinen richtigen Platz hat. Aber irgendwann ist die Zeit und der Platz möglicherweise nicht mehr richtig, passend oder aktuell. Das trifft für fast alle Dinge zu: eine blöde Frisur, die Vorliebe für eine Musikrichtung oder Band oder eine Beziehung mit einer Ex-Freundin, über die man Jahre später nur denkt „Was habe ich mir dabei nur gedacht?“. Der Unterschied zwischen diesen Dingen und einer Tätowierung ist nur, dass man die Frisur ändern kann, die CDs der Band und die Fotos der Ex-Freundin wegschmeissen kann. Ein Tattoo hingegen bleibt. Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole oder pseudo-philosophisch wirke, kann ich es nur nochmal sagen: Alles hat im Leben seine richtige Zeit und seinen richtigen Ort. Aber zum Ballast können Dinge werden, deren man sich nicht entledigen kann und die man, wohl oder übel, mit sich rumtragen muss, ein Leben lang. Mein 18jähriges Ich hätte mein 31jähriges Ich sicher nur ausgelacht und für spiessig befunden, „Nie im Leben werde ich mal so denken!“. Aber früher oder später wird wohl jeder irgendwie erwachsen. Und mein 31jähriges Ich bereut es heute sehr, dass mein 18jähriges Ich so naiv und stur war.
In diesem Sinne. Ich danke im Voraus für jegliche Art von Kommentaren.
Liebe Grüsse,
Marti