Die Tätowierung in Europa
Geschichtlich: Wiederbelebung des Tätowierens
? vor 1774:
o Bezeichnungen für den Körperschmuck: punktuieren, bemalen, einstechen, prikschilderen (holl. = stechmalen), merken (mnhd. = brandmarken), compungere (lat.)
o Dies ist die Vorgeschichte um den durch die Südsee wiederbelebten Hautstrich zu begreifen
? 1774:
o James Cook bringt von seiner Weltumsegelung den Eingeborenen aus der Südsee Omai mit um ihn zur Schau zu stellen
o Auch das Wort Tattoo kommt zusammen mit Omai nach Europa. Es ist das womit Omai seinen Körperschmuck bezeichnet
o Durch Einführung des Begriffes konnte Omai nicht nur bestaunt sondern auch diskutiert werden
Systematik:
? Prähistorische Funde scheinen zu belegen, dass Körperbemalung neben Felsmalerei eine Art der künstlerischen Äußerung des Menschen war
o Über Ursprung und Funktion lässt sich nur spekulieren
o Zufällig durch Spieltrieb (Entdeckung/Erfahrung) durch im Schlamm wälzen oder beschmieren? Hieraus könnte die heutige Kosmetik entstanden sein
o Von Anfang an magisch-rituelle Funktion?
? drei verschiedene Ausprägungen:
o Narbenzeichnung (zufällige Wulstnarbe wird zu Schmucknarbe, Asche und Pflanzenfarbe wird gezielt in die Wunde gerieben)
o Tätowierung (Sublimere Narbenzeichnung)
o Brandmarken
Ethnologische Feldstudien zeigen:
? Körperbemalung und verwandte Techniken:
o In primitiven Gesellschaften
o Zentral für soziale Organisation, wobei konkrete Funktion variiert
o Allgemein
o Verschönerungscharakter
o Kleidersatz, Tarnung, Mimikry
o Kriegsbemalung (abschreckend)
o Bei Zeremonien des Jagd- und Kriegstanzes
o In der Heilpraxis der Medizinmänner
o Gesellschaftlich-politische Funktion (Initiationsriten)
3 zentrale Bedeutungen:
1. Bestimmung/Verdeckung der eigenen Identität
2. Identifizierung
3. Kommunikation
Tätowierung in der christlichen Geschichte:
? die frühesten schriftlichen Belege finden dich in der Bibel
o Verbote
o Altes Testament
?Ihr sollt keine Male um eines Toten willen an eurem Leib reißen, noch Buchstaben an euch ätzen, denn ich bin der Herr.? (Moses 3/19/28)
?Sie sollen auch keine Platten machen auf ihrem Haupt und an ihrem Leib kein Mal stechen.? (Moses 2/21/5)
? Frühchristen trugen Anfangsbuchstaben des Namen Christi, ein Lamm, Kreuz oder Fisch auf der Stirn oder dem Handgelenk
o Sicher ist nicht, ob es sich um reine Nadeltätowierungen oder um nachträglich eingefärbte Brandmarkungen handelt.
o Wahrscheinlicher sind Brandmarkungen, um die vom wahren Glauben Abtrünnigen(also hier die Frühchristen) genauso wie Sklaven und Soldaten kenntlich zu machen
o Von den Christen wurden die Zeichen jedoch nicht als Stigma sondern als Zugehörigkeitszeichen gesehen (zeigt in aller Öffentlichkeit, dass man für seinen Glauben zum Leiden bereit ist)
? bis ca 1890 wurden katholische Mädchen in Bosnien mit christlichen Symbolen tätowiert um Übertritt zum Islam unmöglich zu machen
? in Armenien bis zum 1. Weltkrieg üblich (d.h. bis Armenier in einem großen Progrom fast gänzlich ausgerottet wurden)
? koptische Christen in Ägypten tragen noch heute Kreuze an der innenseite des rechten Handgelenks zur Abgrenzung vom Islam
Radikale Einstellungsänderung zu Tätowierungen findet da statt, wo Christen nicht mehr in der Diaspora leben
? 787 Britannien: durch Konzilbeschluss wird Tätowieren verboten(Ausnahme die, die um des Herrn Willen Unbill erdulden)
? Beginn Hautstrich zu verbieten um ihn beim Gegner defamieren zu können!
Kreuzrittertätowierungen:
1150: auf Emaille Bildchen von Goldschmied Godefroid de Claire festgehalten
? um im Falle des Todes ein christliches Begräbnis zu sichern
Pilgertätowierungen:
? erstmals dokumentiert bei Otto von Gröben 1694
? lies sich 1669 auf einer Pilgerreise beide Unterarme tätowieren (als Zeichen, dass er bei dieser Pilgerreise dabei war)
? Tätowierende Pilgerorte: Jerusalem und Loretto(Italien)
18. Jahrhundert:
? Pariser Armenspitäler: Hebammen versehen Mütter und Kinder mit kleinen, identischen Malen um bei Kindsaussetzung oder Kindsmord die Mutter leichter zu finden
? Ähnlich bei Tiroler Bauern: stachen Kindern Zeichen ins Gesicht, wenn sie in die Fremde gingen, um sie bei ihrer Wiederkehr wieder zu erkennen
Im christlichen Abendland dient Tattoo zur Identifikation
Resumé:
? Europa: Man praktiziert Hautstrich, aber sah ihn nicht
? Hautstrich NICHT ?seltsamer? Gegenstand der Betrachtung (erst nach Omai und der Einführung des Wortes Tattoo)
? Durch Kontakt mit der Südsee: Wieder- und Neubelebung
? Tätowierung gerät immer stärker ins Blickfeld der Beobachtungen
Kulturkontakt:
? ?Wilde? aus der Südsee lösen mit ihren Ganzkörpertattoos in Europa staunen aus (so etwas gab es vorher noch nicht, merkwürdig)
? Matrosen bringen Tattoos als Souvenir mit
Erste Hälfte 19. Jahrhundert bis zum ersten Weltkrieg:
? Blütezeit der Tätowierung
? Erste Berufstätowierer mit Musterkartons und elektrischen Tätowiermaschinen lassen sich nieder
? Bis zu 20% der Gesamtbevölkerung Europas soll tätowiert gewesen sein
? Vornehmlich Seeleute und Hafenarbeiter, Soldaten, Nichtsesshafte (Handwerksburschen, Hausierer, Erntearbeiter, Marktfahrer, Jahrmarktsleute) und Fabrikarbeiter
? Auch Mitglieder der Fürstenhäuser (durch damalige Regenbogenpresse gut belegt
o Königin von Griechenland, Prinz Waldemar(Dänemark), Prinz Heinrich(Preußen), Kronprinz Rudolf(Österreich), Erzherzog Franz Ferdinand, Erzherzogin Anna, sowie die meisten Mitglieder des Englischen Königshauses
? europäische Tätowierung entging lang dem Blick, der immer auf die Fremde gerichtet war, fast vollständig
? Binnenexotik wird erst spät entdeckt
? Deswegen ist die europäische Tätowierung in der jeweils zeitgenössischen Literatur nur spärlich zu finden
Mitte 19. Jahrhundert:
? Interesse an europäischer Tätowierung setzt ein
? Standartwerke:
o Berchon, Histoire médicale du tatouage (1869)
o Wuttke, Die Ätzschrift (1872)
o Lacassagne, Les Tatouages (1881)
o Joest, Tätowiren, Narbenzeichnen und Körperbemalen (1887)
Durch Mordfall Schall:
? neue Seite der Tätowierung: Kriminalität (1849)
ab 1830er Jahren:
Jahrmarktstätowierungen
? Ganzkörpertattoos die Regel
? Tätowierte als Freaks
1870 ? 1880
Beginn der ?Tätowierungswut?
Tätowierung wird immer populärer
1905 ? 1910
Erscheinen der meisten wissenschaftlichen Abhandlung zum Thema Tätowierung
Zweiter Weltkrieg:
Kennzeichnung von Schutzhäftlingen in Konzentrationslagern
Von Jellifish
Aus: Stephan Oettermann, ?Zeichen auf der Haut - Die Geschichte der Tätowierung in Europa?, Syndikat Verlag, Frankfurt am Main, 1979