Kulturelle Aneignung

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Kulturelle Aneignung

Beitragvon Ernst Lauert » 22.06.2018 2:02

Mir juckte es gewaltig in den Fingern, etwas zu diesem Thema zu schreiben, aber ich wollte den Thread nicht noch weiter entgleisen lassen.

Dieser Thread war der Auslöser.

Dort fragte "m350z" nach Tattoos/Tattoomotiven amerikanischer Ureinwohner. Das Thema wandelte sich dann in eine Unterhaltung darüber, ob man als Europäer sowas überhaupt tragen darf.
Ich zitiere an dieser Stelle "MJackson":

Ich hoffe, du bist nicht weiß, sonst wäre das mal wieder ein trauriger Fall von kultureller Aneignung.


Nein, ich kenne ihn nicht, und vielleicht bin ich etwas sensibel, allerdings bin ich gerade in diesem Tattoo-Umfeld immer wieder erstaunt, wie unreflektiert und wahllos sich bestimmte Stile oder Schriften angeeignet werden, und dabei geht es meist doch bloß um irgendeine Ästhetik. Oder weil man da mal im Urlaub war.
Und, auch für dich, Segler, ich mache einen Unterschied zwischen der Nutzung von Lebensmitteln und dem Verwenden oftmals religiöser Symbolik.
Nur ein Denkanstoß, dass man sich auseinandersetzen sollte mit der postkolonialen Einstellung, mit der man so durchs Leben eiert.


"Irida" wünschte sich eine Fortführung der Diskussion, also hier ist sie.

Diese Aufregung über sogenannte "kulturelle Aneignung" sehe ich eher als Phänomen der Großstädte an. Nach meinem Informationsstand sind noch halbwegs natürlich lebende Ureinwohner oft sehr wohlwollend, wenn man als Europäer einen tieferen Einblick in, bzw. eine Teilnahme an ihrer Kultur und ihren Riten wünscht (solange man sich respektvoll verhält, aber das sollte ja eh selbstverständlich sein).

Dabei denke ich nicht nur an Tattoo-Kunst, sondern auch an schamanistische Rituale, Mythologie und den Konsum "heiliger" Drogen. Dr. Christian Rätsch z.B. hat zwei Jahre lang bei amerikanischen Ureinwohnern gelebt, mit ihnen über vorchristliche Mythen diskutiert, Pilze gefuttert und Ayahuasca getrunken. Laut ihm sind Schamanen jederzeit bereit, einem körperlich oder spirituell verletzten oder einfach nur nach Antworten suchenden Menschen zu helfen; die Hautfarbe oder vor hunderten Jahren begangene Völkermorde spielen dabei offenbar keine Rolle.

Meiner Erfahrung nach wird das "Problem" mit "kultureller Aneignung" vorallem von Leuten propagiert, welche 1. so wenig mit dem obigen Szenario zu tun haben, wie es nur möglich ist (Großstadtleben, seit Jahren keinen richtigen Wald mehr betreten, kein Interesse an vorchristlicher / vorislamischer Geschichte, Kultur oder Religion) und 2. ideologisch entweder in einer modernen Form des Linksradikalismus anzusiedeln sind (sofern selbst weiß) oder eine gegen Weiße gerichtete Form des Rassismus vertreten.


Größtenteils geht es bei diesem Thema übrigens um Frisurenfragen.
Weiße "dürfen" nämlich keine Dreadlocks tragen. Dass es durchaus historische Abbildungen von Kelten mit dieser Haartracht gibt, interessiert im Zweifelsfall niemanden und auf manchen linken Veranstaltungen werden Dreadlockträgern gerne mal Zettel mit der Aufschrift "Abschneiden!" zugesteckt. Als hätte nicht jeder das Recht, über sein Aussehen selbst zu bestimmen.


Ich persönlich käme jedenfalls nie auf die Idee, einen Italiener dafür anzupöbeln, dass er Hosen trägt, obwohl die Römer als böse Eroberer zu meinen Vorfahren kamen und dort dieses "merkwürdige" Kleidungsstück entdeckten (können riesige Kulturgebäude errichten, aber keine Hosen erfinden. Die spinnen, die Römer! :shock: ).


Beim Thema "Religiöse Symbole anderer Ethnien" klingeln mir ein wenig die Ohren, da ich mir selbst bald die Darstellung einer ägyptischen Gottheit stechen lassen werde. Im Alltag erwarte ich aber diesbezüglich keine Belehrungen, da das übliche Klientel wohl kaum Khepri erkennen und zuordnen kann. :twisted:

Mal eine kleine Anekdote, um aufzuzeigen, wie dieses Thema zum Teil auf der anderen Seite des großen Meeres gehandhabt wird:
In einem deutschen Forum für germanisches Neuheidentum entstand vor Jahren mal eine interessante Diskussion um die Frage, was man von einem in Deutschland lebenden Schwarzen halten würde, der zu germanische Göttern betet.

Natürlich gab es unterschiedliche Meinungen dazu, aber die wurden sehr zivilisiert vorgebracht: Einige waren der Meinung, dass die Herkunft einer Person fest mit den Göttern des Landes der Geburt verknüpft sei und es deshalb "unnatürlich" wäre.
Andere vertraten die Ansicht, dass jeder die Richtung einschlagen solle, in die es einen zieht und dann gab es auch noch den Gedanken, dass man als "Heide" vielleicht allgemein den jeweils lokalen Göttern Ehre erweisen und z.B. als deutscher Tourist in Nordamerika statt zu Wotan eher zum Manitu beten sollte.

Soweit ich mich erinnere, fühlte sich keiner durch die Vorstellung beleidigt, dass Fremde unsere Götter oder Mythen "klauen". Da müsste ja auch schon seit Jahren ein Sturm gegen die amerikanische Filmindustrie und große Comicbuchverlage laufen.

Meine 2 Pfennige dazu. Vielleicht möchten sich ja noch andere dazu äußern.
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon n8ght » 22.06.2018 8:53

Ich habe das Ganze mal entspoilert und in den richtigen Bereich verschoben. | n8ght
K-ink-Man hat geschrieben:Alle Informationen sind (versteckt in einer immensen Menge von Quark) jederzeit verfügbar!
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon Sepple2000 » 22.06.2018 10:48

Ich war in den letzten Jahren viel in Südafrika und Namibia unterwegs. Dort gibt es inzwischen eine starke "blackness" Bewegung. Interessant für mich zu beobachten: Die Identifikation mit bestimmten kulturellen Bräuchen und vor allem die Ablehnung der Aneignung durch Weiße ist ein identitätsstiftendes Merkmal. Es geht darum, eine gemeinschaftsbildende Grenze zu ziehen. Es passt gut zusammen. Ein in der Kultur vorhandenes Merkmal und die Opferrolle als Nachfahre kolonialer Ausbeutung.
Für Westler ist das nur begrenzt nachvollziehbar. Da wir der restlichen Welt unsere Kultur und unsere Technologie aufgedrückt haben gibt es nur wenig, dass man sich von uns noch aneignen könnte und Gefühle verletzen würde. Mir fällt (außer rechtsradikalen Symbolen) nichts ein, womit ich ein Problem hätte wenn es ein Thailänder sich stechen würde.
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon Ani Ta » 22.06.2018 13:05

Sepple2000 hat geschrieben:Mir fällt (außer rechtsradikalen Symbolen) nichts ein, womit ich ein Problem hätte wenn es ein Thailänder sich stechen würde.


Wobei sich die Nazis ja durchaus einiges, was früher eine andere kulturelle Bedeutung hatte, angeignet haben. Stichwort "Gentle Swastika" oder aber verschiedenen Runen.
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon Ernst Lauert » 22.06.2018 14:04

Naja, von Aneignung kann man bei den Nationalsozialisten wohl kaum sprechen.
Man wollte ein germanisches Symbol, man verwendete ein germanisches Symbol.

Ich unterstütze Versuche, das Hakenkreuz wieder in die Mitte der Gesellschaft zu bringen, aber so stumpfe Parolen und Halbwahrheiten wie "Die Nazis haben das geklaut!", "Das ist eine Swastika, kein Hakenkreuz!" oder "Das ist ein buddhistisches Symbol und steht für Frieden, Liebe und Glück!" sehe ich auf Dauer auch nicht als zielführend an. Ist halt Propaganda, statt Aufklärung.
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon n8ght » 22.06.2018 16:00

Hey ihrs. Heute Morgen habe ich nur mit einer halben Gehirnhälfte funktioniert. Da das Thema ja wirklich mehr allgemein als Tattoo-spezifisch ist, werde ich es heute Nacht oder morgen Vormittag wieder in den Off Topic Bereich verschieben. Wisst ihr B'scheid. Und sorry für die Umstände. | n8ght
K-ink-Man hat geschrieben:Alle Informationen sind (versteckt in einer immensen Menge von Quark) jederzeit verfügbar!
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon Ani Ta » 22.06.2018 16:06

Ernst Lauert hat geschrieben:Ich unterstütze Versuche, das Hakenkreuz wieder in die Mitte der Gesellschaft zu bringen, aber so stumpfe Parolen und Halbwahrheiten wie "Die Nazis haben das geklaut!", "Das ist eine Swastika, kein Hakenkreuz!" oder "Das ist ein buddhistisches Symbol und steht für Frieden, Liebe und Glück!" sehe ich auf Dauer auch nicht als zielführend an. Ist halt Propaganda, statt Aufklärung.


Das verstehe ich jetzt nicht. Die Swastika ist meines Wissens kein germanisches Symbol. Und wie kommst Du jetzt auf Propaganda? Irgendwie fehlt mir da jetzt der Zusammenhang.
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon Irida » 22.06.2018 21:10

Zuerst einmal möchte ich Ernst Lauert für die Eröffnung des Threads und euch allen für eure interessanten Beiträge danken.
Bezüglich Swastika: Meines Wissens i s t sie ein buddhistisches und hinduistisches Symbol, allerdings sind ähnliche Motive weltweit zu finden (ich bin aber auch hier keine Expertin).
Liebe Grüße,

Iris
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon Ernst Lauert » 22.06.2018 22:43

Ani Ta hat geschrieben:Das verstehe ich jetzt nicht. Die Swastika ist meines Wissens kein germanisches Symbol.


Ist es schon, unter anderem halt.
Man könnte es ebenso als griechisches, ägyptisches oder amerikanisches Symbol bezeichnen, um mal ein paar weitere Beispiele einzuwerfen.
Das Hakenkreuz in allen möglichen Formen und Varianten ist für mich das faszinierenste Symbol auf der Welt, weil es fast überall und in allen möglichen verschiedenen Kulturen verwendet wurde. Soweit mir bekannt ist, stammt der älteste Fund aus Mesopotamien und ist mindestens 14000 Jahre alt. Da läuft mir schon ein kleiner Schauer über den Rücken, das hat etwas geheimnisvolles. :)


Ani Ta hat geschrieben:Und wie kommst Du jetzt auf Propaganda? Irgendwie fehlt mir da jetzt der Zusammenhang.


Kam vielleicht etwas undeutlich rüber.
Wenn es um die "Rehabilitierung" dieses Symbols in der westlichen Welt geht, dann sehe ich eine Menge Unehrlichkeit. Zum Beispiel die üblichen Behauptungen, dass es ein rein asiatisches Symbol mit einer untrennbaren Beziehung zum Hinduismus und Buddhismus sei, obwohl man Hakenkreuze ebenso überall auf dem amerikanischen Kontinent, in Europa und in Teilen Afrikas findet.

Dann die ausschließliche Verwendung des Begriffes "Swastika" - Im Englischen verstehe ich das, denn "fylfot" ist offenbar etwas aus der Mode gekommen. Im Deutschen haben wir dagegen ein Synonym, welches jeder kennt. Dann auch noch die Neigung, aus den beiden Namen zwei verschiedene Bedeutungen zu konstruieren, was z.B. auf Tattoo-Bewertung ganz oft zu sehen ist. "Das ist KEIN Hakenkreuz, das ist eine Swastika!" - Das ist so, als würde man sagen "Das ist kein Cannabis, das ist Ganja!"

Als Ergebnis schwirren ne Menge Falschinformationen im Netz und auf der Straße herum und ich halte das für eine Rehabilitierung und Reintegration für wenig sinnvoll.
Man sollte einfach akzeptieren, dass religiöse und kulturelle Themen schon immer gerne von Herrschern und Heerführern verwendet wurden, um ihren eigenen Anspruch zu legitimisieren. "König von Gottes Gnaden", "Gott mit uns!", "Heiliger Krieg", "Sohn der Götter", die Liste ist endlos. Die Nazis wollten sich auf ihre germanischen Wurzeln berufen und wählten ein Symbol, welches unter anderem auch von Germanen verwendet wurde und im frühen 20. Jahrhundert eine gewisse Popularität in völkischen Kreisen genoss. Fertig, damit könnte man es abhaken. Stattdessen schwurbeln zum Teil wirklich gut informierte Leute eine Legende zusammen, damit auch Omma Paschunke an der Fleischtheke binnen zwei Minuten rafft, dass ihre Hakenkreuz-Tattoos nichts mit Politik zu tun haben.
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon sweetpea » 23.06.2018 13:20

Um nochmal auf was vom Anfang einzugehen:

Soweit ich mich erinnere, fühlte sich keiner durch die Vorstellung beleidigt, dass Fremde unsere Götter oder Mythen "klauen". Da müsste ja auch schon seit Jahren ein Sturm gegen die amerikanische Filmindustrie und große Comicbuchverlage laufen.


Ich glaube, das Problem ist immer die unterschiedliche Ausgangslage hinsichtlich der historischen und sozio-kulturellen Machtverhältnisse. Wenn zwei historisch gleichberechtigte Kulturen aufeinander treffen und sich gegenseitig ihrer Symbole bedienen ist das einfach ein Austausch. Wenn das das in zwei Kulturkreisen mit unterschiedlichen Ausgangspositionen geschieht, in denen einer dem anderen historisch was genommen hat, kann das halt als ein weiteres "und das wird auch noch geklaut" rüberkommen.

Beispielsweise ist für viele Weiße eine Frisur einfach nur eine Frisur, während zB im afro-amerikanischen Kontext die Frage ob das Haar in traditionellen Stilen getragen wird oder geglättet, behandelt und schließlich den Weißen "angepasst" viel mehr Dimensionen aufweist. Lange galt natürliches Haar als unzivilisiert, gerade Frauen mussten sich die Haare glätten um bessere Chancen zu haben (und selbst dann noch oft genug diskriminiert zu werden). Da ist die Entscheidung zB Cornrows zu tragen dann möglicherweise eben auch ein politisches Statement - nach jahrhundertelanger Unterdrückung und Anpassung eine Rückeroberung der eigenen Traditionen. Das heißt, diese kulturellen Eigenschaften wurden eben lange nicht zelebriert und als Ausdruck der spezifischen Kultur willkommen gehießen, sondern mussten versteckt oder konnten nicht mehr ausgeübt werden, um im von Weißen beherrschten Umfeld eine minimal bessere Chance zu haben.

Daher hat es einen höchst unterschiedlichen Charakter, ob jemand sich diese Tradition zurückerobert und mit Stolz und Befreiung trägt, oder ob jemand eben im Urlaub denkt "och sieht nett aus, mach ich mal". Sicher gibt es da sicherlich viele, für die das eine traditionelle Bedeutung hat, denen es egal ist, ob sich Touris nun auch diesen Haarstil zulegen und man könnte es auch als "gemeinsames Zelebrieren der Kultur" verstehen. Aber es gibt eben auch genügend Menschen, die immer noch mit zweierlei Maß messen und die traditionellen Frisuren bei Schwarzen als unzivilisiert ansehen, das kritisiert wird, und bei Weißen als Fashion-statement, das gefeiert wird (zB hierdiskutiert, im unteren Teil).

Daher ist es nicht ganz vergleichbar wenn man sagt "uns macht das ja auch nix aus, wenn geklaut wird". Wir haben eine historisch recht priviligierte Ausgangslage. Wenn wir uns was aneignen, was der Tradition eine unterdrückten Gruppe entstammt, wirds vermutlich (von Angehörigen unserer eigenen kulturellen Einheit) gefeiert - weil das meiste einfach positiv aufgenommen wird, was wir machen. Wenn ein Angehöriger der teils immer noch unterdrückten Gruppe sich was von den "Unterdrückern" aneignet, wird das schneller nicht ernst genommen, als Verkleiden gehandhabt oder auch einfach nur als Anpassung an die vorherrschende Gruppe.

Daher würde ich mir persönlich kein Tattoo stechen lassen, das von der Kultur amerikanischer Ureinwohner inspiriert wurde. Wenn man jetzt wirklich wie der Ethnologe jahrelang dort mit gelebt hat, ist das sicher eine ganz andere Situation, aber das ist sicher nicht Standard. Dann kommts imho auch wirklich sehr stark darauf an, was die betreffenden Kulturen selbst sagen. Für native americans gibt es Verbände, die sich auch mit sowas (und vor allem "Plastikschamanismus") befassen, da kann man im Zwelfelsfall auch nachfragen, wie die generelle Meinungstendenz ist.
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon Irida » 23.06.2018 19:36

Das hast du sehr gut dargestellt - ich kann die Argumente gegen kulturelle Aneignung bei unterschiedlichen historischen Machtverhältnissen voll und ganz nachvollziehen.
Im Ausgangs-Thread ging es darum, dass ein User nach Motiven der Inka, Maya und Azteken gefragt hat. Ich habe ihm daraufhin einen mexikanisch-stämmigen Tätowierer, der in den USA lebt, empfohlen. Selbstverständlich sehe ich die Problematik, andererseits denke ich: Wenn der betreffende Tätowierer kein Problem damit hat, diese Motive jemandem zu stechen, der nicht aus seiner eigenen Kultur stammt, ist dies gewissermaßen eine Art von Legitimation.
Außerdem schrieb ich im Ausgangs-Thread, man dürfe Motive anderer Kulturen verwenden, so lange man respektvoll mit ihnen umgeht. Damit meine ich Folgendes: Man sollte ehrliches Interesse für die jeweilige Kultur aufbringen und sich wirklich tiefgehend damit auseinandersetzen. Des Weiteren sollte man einen Tätowierer auswählen, der tatsächlich etwas von dieser Kultur und ihren spezifischen Symbolen versteht - einen Meister seines Faches also. Nicht zuletzt sollten die Motive im richtigen Kontext verwendet werden. Ich denke hier zum Beispiel an polynesische Tätowierungen, bei denen bestimmte Formen und Symbole nur von Frauen oder Männern getragen werden dürfen - dies sollte man immer respektieren.
Liebe Grüße,

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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon Lithandril » 23.06.2018 22:44

Eine sehr interessante Diskussion wie ich finde, also geselle ich mich mal dazu. ;)
Ich sehe das so dass jeder Mensch das recht hat sich auf kulturelle Motive und Bräuche
zu berufen auch wenn er damit vorher noch nicht viel in Verbindung stand oder aus einer Gegend stammt in der diesem Menschen eine gänzlich andere Kultur vermittelt worden ist.
Das einzig wichtige hierbei finde ich, ist das der Mensch auch wirklich Interesse an diesen Motiven, Bräuchen, Göttern hat, auch wenn das Interesse nur Oberflächlich besteht. Und das tut es ja zweifels ohne wenn man sich das aneignen möchte. Ich finde es auch in Ordnung dass ich mir z.B. ein schamanischen Peyote Gott mit allem was dazu gehört auf dem Arm stechen lasse weil ich diese Motiv sehr ansprechend finde. Warum sollte das kein respektvoller Umgang sein? Nur weil ich die wesenheiten nicht zu 100% verstehe? Vlt ist das Interesse daran zeigen, und das verewigen auf meinem Körper schon respektvoll genug für die meisten Wesenheiten. In den meisten Fällen setzt man sich wenn man sich solche Motive tättowieren lässt, oder es ernsthaft vor hat automatisch damit auseinander und merkt sehr schnell ob es dass richtige für einen ist. Ich weiß nicht ob es tatsächlich Menschen gibt die sich sowas aus reiner Oberflächlichkeit stechen lassen und selbst wenn, warum nicht ?
Ich selbst bin in christlicher Kultur aufgewachsen, befinde mich aber auf einem buddhistischen Lebensweg in Verbindung zum Hinduismus und huldige zum Beispiel Gaya der Gottheit der Natur und Erde meinen Respekt in dem ich kleine " Opferungen" vor dem Pize sammeln am Rand einer Wiese vergrabe und ein kleines Gebet spreche, und das obwohl ich kein Nomade aus den Alpen oder alter Germane und damit angehöriger einer schamanischen Kultur bin.
Und obwohl das eine sehr bunte Mischung ist und es da noch andere Eigenschaften in mir gibt die noch mehr Kulturen vereinigen, fühle ich mich bei jeder einzelnen sehr wohl und denke auch das ich der jeweiligen "Gottheit" und Kultur damit respekt zeige.
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon sweetpea » 24.06.2018 14:34

ging es darum, dass ein User nach Motiven der Inka, Maya und Azteken gefragt hat.


Ah, danke für den Kontext!

Man sollte ehrliches Interesse für die jeweilige Kultur aufbringen und sich wirklich tiefgehend damit auseinandersetzen.


Des Weiteren sollte man einen Tätowierer auswählen, der tatsächlich etwas von dieser Kultur und ihren spezifischen Symbolen versteht


Letzteres klingt nach einem Vorgehen, mit dem man die Wahrscheinlichkeit hoch hält, dass es tatsächlich so in Ordnung ist und niemandem aufgrund der Symbolik auf den Schlips tritt. Ich glaube, man kann, wenn man die Thematiken nicht gerade wirklich studiert oder anderweitig involviert ist, auch trotz genuinen Interesses auf falsche Fährten kommen und Dinge als akzeptabel identifizieren, die es tatsächlich aber nicht sind. Im einfachsten Fall hat man dann halt ein Symbol was doch was anderes meint, im schlimmsten eine große Beleidigung für ne gesamte Kultur auf dem Körper - daher ist ein Tätowierer mit wirklich Ahnung wie von Dir genannt Gold wert. :)

Warum sollte das kein respektvoller Umgang sein? Nur weil ich die wesenheiten nicht zu 100% verstehe? Vlt ist das Interesse daran zeigen, und das verewigen auf meinem Körper schon respektvoll genug für die meisten Wesenheiten.


Mein Eindruck ist, dass hier zwischen privaten Aktivitäten und Dingen, die für andere sichtbar sind unterschieden werden muss. Rituale etc sind ja was, was man für sich selbst macht, da bin ich auch total auf der "macht, was gut tut"-Schiene. Gibt ja auch niemanden, der einem da was verbietet (zum Glück). :mrgreen:

Ich weiß nicht ob es tatsächlich Menschen gibt die sich sowas aus reiner Oberflächlichkeit stechen lassen und selbst wenn, warum nicht ?


Meine Meinung: Weil man dabei vieles falsch machen kann. Wenn man zB aus reiner Oberflächlichkeit, wie im Beispiel, denkt "och ich find Buddhas so knuffig" und lässt sich dann einen auf die Füße tätowieren, mag man das selbst toll finden, aber gleichzeitig ist es anscheinend auch ein Auslöser für Unmut bei vielen Buddhisten (zB hier. Das heißt natürlich nicht, dass man das nicht darf, aber man sollte sich der Bedeutungen in verschiedenen Kontexten eben bewußt sein. Das kann man in Kauf nehmen und sich auch Dinge stechen lassen, bei denen das Motiv selbst schon die Nutzung als Körperschmuck ausschließt - dann ist aber die Frage, warum es genau das Symbol sein muss, und ob man mit nem "Cherrypicking"-Ansatz aka "der Part der Bedeutung ist gut, den nehm ich, dass man das eigentlich nicht soll ignorier ich, Aspekt C finde ich wieder gut" glücklich wird. Ich meine, letzten Endes kann man für sich wirklich alles selbst definieren (und wenn man nicht gläubig ist, ist es ohnehin eher eine Auswahl aus Fantasie- und Mythenkreaturen), aber man existiert nicht allein, sondern zwischen anderen (für die das eben mehr ist) und das ist der Punkt, wo man für sich entscheiden muss, inwieweit man die Befindlichkeiten anderer berücksichtigen will.

Ich denke aber auch, dass das vor allem für aktuelle Symboliken gilt, die noch verwendet werden - es gibt sicher auch eine sehr große Menge an Symbolen und Thematiken, die eine kulturelle Bedeutung haben, aber auch als Tattoo gut angekommen oder sogar auf Zustimmung und Freude stoßen (irgendwer schrieb hier mal von einem Inselvolk, wo sich die Bewohner stolz fühlen, wenn ihre eigenen Symbole von anderen toll gefunden werden).

Im Grunde sollte man eben einfach nicht mit bedeutungsschwangeren Symbolen anderer Kulturen leichtfertig Selbstbedienung spielen, wenn (und ob das der Fall ist, weiß man nur selbst) einem wichtig ist, niemandem ernsthaft vor den Kopf zu stoßen.
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon Lithandril » 25.06.2018 21:07

Sehr schöner Kommentar eigentlich hast du den Nagel auf den Kopf getroffen. :) es ist halt wirklich schwer den Mittelweg zwischen was ist für mich persönlich in Ordnung und was ist für Betroffene diesbezüglich in Ordnung? Um diesen Punkt sicher zu klären muss man halt wirklich dem Thema entsprechend ein „Experte“ sein. Oder das ganze für dich Abwegen.
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Re: Kulturelle Aneignung

Beitragvon Branislav K. » 26.06.2018 1:53

soviel mir bekannt, die inuit sind da ziemlich empfindlich. die sollte man vorher kontaktieren und das besprechen.
https://www.facebook.com/inuittattoorevitalization/

ich freue mich wenn mich z.b. briten oder amerikaner nach kroatischen tätowierungen fragen. da sag ich immer, du findest das wunderschön, dann lasse dich von niemand aufhalten.
aber es gibt da auch einen phenomen. etwas, was auch ich nicht so gern sehe. manche leute haben ein bedürfnis die alten motive zu verändern. warum sind über 500 verschiedene motive nicht ausreichend, das weiss ich nicht. da denk ich mir dann, hmm, wieder, kannst nichts machen, ruhig bleiben, als neotraditionell klassifizieren und weiter blättern.
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